Schleudertrauma

Überblick

Das Schleudertrauma ist als Distorsion oder Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule bekannt (Verstauchung/Zerrung der Halswirbelsäule). Es handelt sich dabei um eine häufige Nackenverletzung und tritt auf, wenn der Nacken und der Kopf plötzlich nach vorne (plötzliche Hyperflexion des Nackens) und danach nach hinten schnellen (plötzliche Hyperextension des Nackens) und so ruckartige Bewegungen und eine übermäßige Belastung der Halswirbelsäule verursachen. Dies kann zu einer Verletzung nicht nur der Wirbel, sondern auch der stützenden Gelenkbänder und der Nackenmuskeln führen. Diese Art von Verletzung kann Folge einer starken Gewalteinwirkung sein, in den meisten Fällen bei einem Verkehrsunfall mit Heckaufprall.

Anatomie (Halswirbelsäule)

Die Halswirbelsäule besteht aus sieben Wirbeln, die verhältnismäßig die kleinsten Wirbel sind, sich im obersten Teil der Wirbelsäule befinden und von starken Bändern und vielen Muskeln gestützt werden. Die Halswirbel verbinden den Schädel mit der Brustwirbelsäule (dem oberen Teil des Rückens). Die Halswirbelsäule erfüllt verschiedene wichtige Funktionen, von denen folgende zu nennen sind:

1. Unterstützung des Kopfes und seiner Bewegungen.

Alle Wirbel zusammen stützen den Kopf und seine Bewegungen, zu denen die Bewegungen nach vorne und hinten, die Drehbewegungen und die seitlichen Biegungen zählen.

2. Schutz des Rückenmarks und der Spinalnerven.

Die Halswirbel schützen das Rückenmark, ein Nervenbündel, das mit dem Gehirn verbunden ist. Das Rückenmark läuft durch einen großen zentralen knöchernen Kanal, den sogenannten Wirbelkanal oder Spinalkanal, und übermittelt Botschaften vom Gehirn zum restlichen Körper. Öffnungen bzw. Löcher an jeder Seite des Wirbelkanals, die Zwischenwirbellöcher oder Foramina intervertebralia genannt werden (Austrittstellen zwischen zwei benachbarten Wirbeln), erlauben den Nervenwurzeln von der Wirbelsäule in die Schulter und die Arme zu gelangen.

3. Ermöglichung der Durchblutung des Gehirns

In den Querfortsätzen der Halswirbel befinden sich knöcherne Öffnungen/Löcher, durch die die Wirbelarterien verlaufen, welche zur Blutversorgung des Gehirns beitragen.

Anatomie (Bandscheiben)

Die Bandscheiben sind Stoßdämpfer, die sich zwischen den Knochen der Wirbelsäule (d.h. den Wirbeln) befinden. Sie tragen zur Erhaltung der Flexibilität des Rückens und gleichzeitig zum Widerstand gegen Kräfte bei und sie ermöglichen die Beugung, Biegung und Drehung der Wirbelsäule. Jede Bandscheibe verfügt über eine dicke äußere Schicht, die als Faserring bzw. Annulus fibrosus bezeichnet wird und den weichen Gallertkern umgibt, der Nucleus pulposus genannt wird. Ein Bandscheibenvorfall entsteht dann, wenn das gallertartige Material aus dem Inneren der Bandscheibe sich nach außen vorwölbt oder austritt und einen schädlichen Druck auf eine benachbarte Nervenwurzel ausübt.

Anatomie (Facettengelenke)

Die Facettengelenke verbinden die Wirbel der Wirbelsäule miteinander. Sie sind mit Knorpel überzogen und von einer Gelenkkapsel umgeben, die die Beugung und Drehung der Wirbel ermöglicht. Jede Gelenkkapsel enthält viele mikroskopische nozizeptive Fasern (Schmerzrezeptoren), sodass diese Struktur eine potenzielle Schmerzquelle darstellt. Wie andere Körpergelenke auch, können die Facettengelenke von Entzündung und Degeneration betroffen werden. Aufgrund ihrer Funktion, das Gewicht des Kopfes zu tragen, sind die Facettengelenke der Halswirbelsäule für Verletzungen anfällig. Die häufigste Verletzungsart ist das Schleudertrauma, bei dem die Schmerzen unmittelbar nach der Verletzung auftreten.

Ursachen

Das Schleudertrauma wird in den meisten Fällen durch Verkehrsunfälle verursacht, bei denen ein Fahrzeug von hinten angefahren wird. Weitere mögliche, aber vergleichsweise seltene Ursachen für ein Schleudertrauma stellen Kontaktsportarten wie Fußball, Bungeejumping, Achterbahnfahrten, Stürze beim Skifahren oder andere Aktivitäten dar, bei denen extreme Beschleunigungs- und Bremskräfte auf die Halswirbelsäule einwirken.

Symptome

Die Symptome des Schleudertraumas können direkt nach dem Unfall auftreten oder sich später nach Stunden und Tagen manifestieren. Üblicherweise heilt das Schleudertrauma innerhalb von drei Monaten ab, eine Symptompersistenz bzw. -chronifizierung über einen deutlichen längeren Zeitraum ist dennoch auch möglich. Die Langzeitprognose für Patienten mit einer derartigen Verletzung kann sehr unterschiedlich sein und hängt in der Regel von der Schwere der Initialsymptome ab.

Symptome (Nackenschmerzen)

Das häufigste Symptom dieser Verletzung sind Nackenschmerzen. Die Schmerzen können von leicht bis sehr stark variieren, mit Lokalisation im Nackenbereich und potenzieller Ausstrahlung in die Schultern, in den Oberarm und/oder die Hand. Die Nackenschmerzen, die von dieser Verletzung hervorgerufen werden, sind meistens die Folge einer Muskelzerrung oder einer Bänderdehnung. Weitere Ursachen sind eine Verletzung der zervikalen Facettengelenke, der Bandscheiben oder der Nerven im Halswirbelsäulenbereich.

Symptome (Schmerzen in der Schulter und/oder im oberen Rücken)

Wenn beim Schleudertrauma das Weichteilgewebe des Nackens, wie die Muskeln und die Bänder, gerissen oder überdehnt wird, ist eine Ausbreitung der Schmerzen auf das Weichteilgewebe im oberen Rücken, in der Schulterregion und zwischen den Schulterblättern möglich. Dies geschieht vor allem im Falle einer Reizung der unteren Halswirbelsäule.

Symptome (Nackensteifigkeit – Verringerung des Bewegungsumfangs)

Die eingeschränkte Beweglichkeit des Nackens, wie zum Beispiel die Unfähigkeit zur normalen Beugung und Drehung, wird hauptsächlich durch die Nackenschmerzen und die Steifigkeit der Nackenmuskulatur verursacht. Eine weitere Ursache stellt die Verletzung der Facettengelenke dar.

Symptome (Zervikogener Kopfschmerz)

Der zervikogene Kopfschmerz ist eine besondere Art von Kopfschmerzen, die auftreten, wenn der Schmerz von einer bestimmten Quelle im Nacken nach oben in den Kopf weitergeleitet wird. Er zeichnet sich durch dumpfe, nicht pochende Schmerzen aus, die vom Nacken in den Hinterkopf ausstrahlen. Die Schmerzen können sich über die Kopfhaut ausbreiten und in der Stirn, in den Schläfen und im Bereich rund um das Auge und das Ohr empfunden werden. Der zervikogene Kopfschmerz wird durch eine zugrundeliegende Schädigung eines Gelenks, einer Bandscheibe, eines Muskels oder eines Nervs im Nackenbereich hervorgerufen. In den meisten Fällen sind die obersten Facettengelenke der Wirbelsäule (C1-C3 Wirbel) betroffen. Das Schleudertrauma stellt eine häufige Ursache für zervikogene Kopfschmerzen dar. Bei dieser Art von Verletzung kann der zervikogene Kopfschmerz nach wenigen Tagen nachlassen oder jahrelang persistieren.

Symptome (Zervikale Radikulopathie)

Bei der zervikalen Radikulopathie handelt es sich um eine Erkrankung, bei der eine Reizung einer oder mehrerer Nervenwurzeln in der Halswirbelsäule vorliegt. Sie manifestiert sich in der Regel als Schmerz, der vom Nacken entlang der betroffenen Nervenwurzel ausstrahlt. Er kann dabei von Störungen der Sensibilität, der Motorik oder der Reflexe begleitet sein. Jede Erkrankung, bei der die zervikalen Nervenwurzeln in irgendeiner Art und Weise komprimiert oder gereizt werden, kann eine zervikale Radikulopathie verursachen. In den meisten Fällen wird sie durch degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule hervorgerufen, sie kann aber auch als Folge einer akuten Verletzung auftreten, wie z.B. eines Schleudertraumas.

Weitere Symptome

Nach dieser Art von Verletzung im Nackenbereich sind das Auftreten von Schwindel, Sehtrübung, Reizbarkeit, Unruhe oder depressiver Symptomatik möglich. Des Weiteren, können sich Ohrensausen, bekannt als Tinnitus, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme sowie Ein- und Durchschlafstörungen manifestieren. Die Energielosigkeit (Müdigkeit), die häufig beklagt wird, kann mit den Schlafproblemen, der Depression, dem posttraumatischen Stress und den Schmerzen assoziieren.

Behandlung

Die Therapieoptionen für das Schleudertrauma umfassen in der Regel Ruhe, Analgetika bzw. Antiphlogistika, Wärmetherapie, Muskelrelaxantien, Chirotherapie und Physiotherapie. Zur Entspannung der harten und steifen, schmerzenden Muskeln ist die Kombination der oben genannten Therapien mit einer Infiltration der Muskeln im Schulter-/Nackenbereich (Triggerpunkt-Infiltration) möglich.

Ferner kann eine Infiltration oder Blockade der Facettengelenke erwogen werden, um die Schmerzen in den entsprechenden Gelenken zu diagnostizieren und zu behandeln. Wenn die üblichen konservativen Therapiemethoden keine Wirkung aufweisen und der Patient positiv auf die Facettengelenksblockade reagiert hat, dann kommt als nächste Therapieoption die Radiofrequenzdenervation der Facettengelenke in Betracht.

Der zervikogene Kopfschmerz wird meist konservativ mit Ruhe, Wärmetherapie, Analgetika bzw. Antiphlogistika, Muskelrelaxantien, Chirotherapie und Physiotherapie behandelt. Zudem kann eine transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) angewendet werden, bei der die sensorischen Nerven stimuliert werden, wodurch ein Taubheitsgefühl in der Region entsteht und das Schmerzgefühl nachlässt.

Die zervikale Radikulopathie kann in der Regel ohne Operation durch eine Kombination aus Schmerztherapie, Physiotherapie sowie therapeutischen Wirbelsäuleninjektionen erfolgreich behandelt werden.

Schließlich kann eine Psychotherapie sinnvoll sein, wenn der Patient aus irgendeinem Grund eine psychische Erkrankung als Folge des Schleudertraumas entwickelt, wie z.B. Depression oder posttraumatischen Stress.

 

Literaturangaben

1. Kraemer J., Hasenbring M., Kraemer R., Taub E., Theodoridis T., Wilke H.J.: Intervertebral Disc Diseases: Causes, Diagnosis, Treatment and Prophylaxis. Thieme 2009.